Liebe Leserin und lieber Leser,
heute, da ich dies schreibe, ist der 72. Kriegstag in der Ukraine. Es fällt mir schwer, eine Sprache dafür zu finden. Ich lese gerade einen Gedichtband von Serhij Zhadan, 1974 im Gebiet Luhansk geboren. Was vermögen Dichter, wenn Krieg ist? Zhadan gibt mit seiner Stimme dem Schmerz der Trauer einen Ort. Das ist Trost. Ich liebe Poesie, vielleicht, weil sie Kunst ist, und weil sie deshalb dem Unsagbaren nahe ist.
Vor kurzem war eine Kollegin aus dem stationären Hospiz bei mir. Sie bat um einen Austausch. Dabei fragte sie mich, wie es mir gehe. Ich sagte, dass ich dankbar sei, nicht in einer inneren Ohnmacht verbleiben zu müssen. Es eröffneten sich seit den letzten Wochen viele Pfade zur Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine. Sie verstand zunächst nicht, als ich sagte, es sei mir, als würden in furchtbarer Zeit immer wieder Türen geöffnet. Ich erzählte ihr ein wenig. Das will ich auch jetzt tun. Nicht ausführlich, eher knapp. Kein Stolz. Eher Freude, dass wir etwas tun können.
Zhadan schreibt: "Wir haben nur die Pflicht - das Wichtigste zu teilen: unsere Stimme, unsere Empfindsamkeit." Später dann fährt er fort: "Mag der nächste Frühling kommen. Mag uns der Optimismus peinlich sein. Mögen die Stängel des Schilfrohrs wie Antennen das Wichtigste aus der Luft filtern - Rhythmus und Vergebung".
Vergebung, so denke ich, steht nicht am Anfang. Vielleicht aber ist es ein zu großes Wort.
Von Herzen grüßt Sie inmitten von unbegreiflichen Farben des Frühlings
Ihr Andreas Stähli
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